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Nach Mobbing-Vorwürfen gegen Reichelt: BILD-Zeitung sieht heute aus unerfindlichen Gründen nicht so aus

Berlin (dpo) - Seit wann lässt man denn bei Springer solche Sensationsnachrichten links liegen? Obwohl gestern bekannt wurde, dass mit "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt einer der wichtigsten Medienmanager Deutschlands von mindestens einem halben Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Mobbings und belästigenden Verhaltens bezichtigt wird, berichtet das Boulevardblatt lieber über völlig andere Themen. Dabei hätte die Titelseite unter normalen Umständen so wie in diesem Artikel gezeigt aussehen müssen.

"Sicher, auch für Julian Reichelt gilt die Unschuldsvermutung. Zudem sollte er - wenn überhaupt über ihn berichtet wird - zumindest anonymisiert werden", erklärt Medienexpertin Cordula Beremeser. "Aber das sind alles Dinge, auf die 'Bild' sonst auch einfach pfeift."

Mysteriöserweise ist auch die Nachbarschaft Reichelts bislang noch völlig unbehelligt. "Niemand hat mich gefragt, was für ein Typ dieser Reichelt überhaupt ist, ob er mir schon mal irgendwie aufgefallen ist und ob ich ihm solche Taten überhaupt zugetraut hätte", erklärt etwa der Nachbar vier Häuser weiter. "Das kommt mir schon ein bisschen seltsam vor, ehrlich gesagt. Sehr verdächtig."

Ähnliches berichten Verwandte, Freunde und Familie Reichelts. "Ich wurde nicht von Reportern bedrängt, alte Familienalben nach Fotos von Julian zu durchstöbern, damit diese neben der Schlagzeile 'So grinste das spätere Sex-Monster an seinem ersten Schultag' veröffentlicht werden können", bestätigt eine Cousine Reichelts.

Insgesamt tauchen die Vorwürfe, die neben Mobbing auch "Machtmissbrauch und die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen" umfassen, mit exakt 0 Worten in der heutigen "Bild"-Ausgabe auf. Dabei wäre das eine hervorragende Gelegenheit gewesen, um auf einer Doppelseite im Inneren der Ausgabe auch ältere Vorwürfe gegen Julian Reichelt noch einmal aufzukochen.

So soll etwa 2018 Reichelts Vorgänger Diekmann von einer Mitarbeiterin mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert worden sein. Der Fall verlief im Sand, nachdem Reichelt einen Feldzug gegen das mutmaßliche Opfer geführt und dessen charakterliche Vernichtung vorangetrieben hatte.

Immerhin: Seit Jahrzehnten fragen sich Experten für Medienethik, ob es auch Grenzen gibt, was die Rücksichtslosigkeit der "Bild"-Zeitung in den Bereichen Persönlichkeitsrecht, Unschuldsvermutung oder Vorverurteilung angeht. Nun scheint klar: Ja – sofern einer der ihren betroffen ist.

ssi, dan
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