Berlin, Idlib (dpo) - "Jetzt sollen die Flüchtlinge mal sehen, wie sich das anfühlt, wenn ihre Heimat plötzlich überfremdet wird" - unter diesem Motto haben sich in den vergangenen Tagen mehrere tausend Neonazis aus Deutschland auf den beschwerlichen Weg nach Syrien gemacht, um dort Asyl zu beantragen. Auch der Kosovo, der Irak und Afghanistan verzeichneten in den vergangenen Tagen ungewöhnlich viele Asylgesuche rechtsextremer Deutscher.
Bereits in den letzten Wochen wurde auf mehreren Nazi-Seiten und Pegida-Foren im Internet immer wieder dazu aufgerufen, "Ausländer da [zu] treffen, wo es ihnen am meisten wehtut". "Aufrechte deutsche Patrioten" sollten sich daher demonstrativ in eines der Herkunftsländer der Flüchtlinge absetzen.
Die Aufrufe blieben nicht ohne Erfolg: Tausende Asylgesuche mit Begründungen wie "Rache", "mir sind zu viele Ausländer in Deutschland" oder "ich hatte zu Hause weder Job noch Perspektive" beschäftigen derzeit die Behörden in Damaskus, Idlib, Kabul und Pristina.
Ort der Sehnsucht für viele Neonazis: zerbombte Stadt Homs in Syrien |
René F. aus Dortmund, der gerade mit rund 50 weiteren Neonazis einen alten Fischkutter besteigt, erklärt, was ihn zur Flucht nach Syrien bewegt hat: "Proteste in Deutschland nützen nichts. Deshalb hab ich mich entschlossen, die Flüchtlinge ihre eigene Medizin schmecken zu lassen und nach Syrien zu fliehen. Dann kassiere ich dort üppige Sozialhilfe und nehm gleichzeitig einem Syrer den Job weg."
Doch vorher muss René F. noch die riskante Überfahrt von Kos nach Bodrum überstehen. Von dort will er sich bis zur türkisch-syrischen Grenze durchschlagen und illegal einreisen. Ob er in Syrien letztlich im vom islamistischen Rebellen besetzten Teil oder in einer der letzten Assad-treuen Städte landen wird, ist René F. egal: "Ob Damaskus oder Beirut, Hauptsache Syrien."
Anschließend möchte er zeitnah seine komplette Familie nachholen, um möglichst viel Geld aus dem syrischen Sozialstaat zu pressen. "Wahrscheinlich werden Uschi, Jason und die kleine Sieglinde aus finanziellen Gründen die Balkanroute nehmen müssen", erklärt F., der sein letztes Geld auf der Flucht irrtümlich für einen gefälschten bolivianischen Pass ausgegeben hat. Bis die Familie dann ankommt, werden wohl noch einige Wochen vergehen. "Aber wenn sie unterwegs nicht festgehalten werden, umkommen oder vergewaltigt werden, können wir schon bald gemeinsam die Gastfreundschaft Syriens gnadenlos ausnutzen."
Bislang werden die deutschen Flüchtlinge in Syrien mit offenen Armen empfangen. Sie gelten allen beteiligten Bürgerkriegsparteien als "exzellentes Frontmaterial, das nicht viel hinterfragt".
ssi, dan; Erstveröffentlichung: 11.9.15